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Gedanken zu einem unfassbaren Ereignis

Die Meldung vom Absturz des Airbus A320 der Lufthansa-Tochter Germanwings am 24. März dieses Jahres in den französischen Alpen löste in der Öffentlichkeit und auch bei uns tiefe Betroffenheit, Fassungslosigkeit und Entsetzen aus. Den Familien, Angehörigen und Freunden der 150 Opfer hat er unsagbares und unfassbares Leid gebracht, ihr Leben wird er für immer verändern.

Wie jedes andere Flugunglück trägt auch dieses alle klassischen Merkmale eines Unfalles, die von James Reason mit seinem „Swiss cheese model“ so bildhaft beschrieben worden sind. Anders als bei üblichen Unfällen steht hier aber der Vorwurf des Vorsatzes im Raum. Bis zur Aufklärung der tatsächlichen Ursachen ist dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nur spekulativ.

Mehrere Airlines in Deutschland und weltweit haben sehr schnell erste Konsequenzen aus dem Flugunfall abgeleitet und, den Empfehlungen der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) folgend, eine Zwei-Personen-Regel eingeführt. Diese soll verhindern, dass sich eine einzelne Person im Cockpit einschließen kann.

Unabhängig vom weiteren Ausgang der Ermittlungen wirft dieser Flugunfall für die Flugmedizin bereits jetzt eine Vielzahl von Fragen auf, denen sie sich in naher Zukunft wird stellen müssen. Auch wir in der Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrmedizin (DGLRM e.V.) werden dies intensiv tun. Die vielfältigen Aspekte, die dabei zu adressieren sind, müssen und werden uns zu einem neuen Verständnis von Flugsicherheit führen.

Die European Society of Aeropspace Medicine (ESAM) hat diesen Gedanken bereits auf ihrem letzten European Congress of Aerospace Medicine (ECAM) in Bukarest, der unter dem Titel „MIND THE GAP“ stand, thematisiert und ein Projekt „Fly safe fly well“ - Aeromedical risk assessment … a case for change - ins Leben gerufen, mit dem sie eine Wende zu einem neuen Verständnis von medizinischer und psychologischer Unterstützung für alle aktiv an der Luftfahrt Beteiligten bewirken möchte.

Wir kommen nicht umhin, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich das Fliegen deutlich verändert hat. Dies betrifft vor allem die Aufmerksamkeitsverteilung und Arbeitsbelastung bei den Luftfahrzeugbesatzungen: Das „Basic Aircraft Handling“ ist durch zunehmende Automation zurückgegangen, die Erfordernisse an die Informationsverarbeitung sind gestiegen. Phasen hoher Beanspruchung wechseln sich mit Phasen langanhaltender Monotonie ab. Daneben ist nicht nur das berufliche sondern auch das alltägliche Leben sehr viel ereignisreicher, schneller und intensiver geworden. Dies alles kann bei anhaltender Überforderung zu häufiger werdenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen einschließlich psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Burnout aber auch Boreout führen, mit denen unser Fachgebiet zunehmend konfrontiert sein wird.

Die Flugmedizin wird sich aber auch der Frage stellen müssen, wie sich dies in den Auswahlkriterien und Tauglichkeitsuntersuchungen niederschlagen sollte. Akademische Fähigkeiten scheinen gefragter zu sein als vorher, Auswahl und Training der Flugzeugbesatzungen werden sich mehr auf die Informationsverarbeitung, die emotionale Intelligenz und das „crew ressource management“ sowie Kenntnisse auf dem Gebiet der „Human Factors“ konzentrieren müssen.

Ebenso brauchen wir neue Einsichten auf dem Gebiet der sensorischen, kognitiven und motorischen Informationsverarbeitung und neue mathematische Modelle der menschlichen Informationsverarbeitung, Entscheidungsfindung und Systemkontrolle, um die Design-Entwicklung für optimale Mensch-Maschine-Systeme zu ermöglichen. Hier ist die Zusammenarbeit der Flugmedizin mit den ingenieurtechnischen Disziplinen zu vertiefen. Die Prozesse, die der Lernfähigkeit und der kognitiven Verarbeitung zugrunde liegen, müssen zielstrebiger untersucht werden (auf neurochemischer, -anatomischer und -physiologischer Ebene). Erst so werden wir neue Einsichten in die Erkennung und Verhütung von Krankheiten, für die Auswahl und das Training der Luftfahrzeugbesatzungen und für die Entwicklung des notwendigen Designs des Mensch-Maschine-Systems bekommen.

Aber auch die Flugmedizin selbst wird sich verändern müssen. Als multidisziplinäres Fachgebiet, das „Anleihen“ aus einer Vielzahl medizinischer Fachgebiete aufnimmt, brauchen wir Fliegerärzte mit einer breit angelegten Ausbildung, eine Harmonisierung flugmedizinischer Aus- und Weiterbildung über Ländergrenzen hinweg und eine wirksame Bündelung und Vernetzung aller Kräfte der Luft- und Raumfahrtmedizin weltweit. Nur so werden wir in der Lage sein, den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit des fliegenden Personals zu erfassen, zu erhalten bzw. im Bedarfsfalle auch wiederherzustellen und damit Flugsicherheit zu gewährleisten. Die Aerospace Medical Association (AsMA), die zur Zeit größte wissenschaftliche flugmedizinische Gesellschaft in der Welt, hat dies erkannt und möchte dieser wachsenden Bedeutung der Flugmedizin Rechnung tragen, indem sie um die Anerkennung der Luft- und Raumfahrtmedizin als Spezialdisziplin der Medizin weltweit wirbt. Sie hat dazu bereits eine Arbeitsgruppe gebildet und wird dabei von der ESAM unterstützt. Auch mit dem Thema „Pilot mental health issues“ hat sie sich seit geraumer Zeit auseinandergesetzt und auch hier eine Expertengruppe eingesetzt, deren Empfehlungen auf der Homepage der AsMA und in ihrem Journal nachzulesen sind. Ganz sicher wird all dies im Mittelpunkt von vielen Diskussionen auf dem nächsten Kongress der AsMA im Mai dieses Jahres stehen.

Anstrengungen müssen auch im Hinblick auf die Verarbeitung der zunehmenden Wissensflut in der Medizin und ihre Auswirkungen auf die Flugmedizin unternommen werden. Ein Einzelner kann den Wissens- und Technologiezuwachs dieser Zeit nicht mehr bewältigen. Dennoch müssen wir uns Gedanken machen, wie wir es schaffen, mit ihm fertig zu werden.

Spätestens nach diesem tragischen Flugunfall sollte klar geworden sein, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher, sondern mit allen Beteiligten eine intensive Diskussion zu notwendigen Veränderungen in unserem Fachgebiet führen müssen. Dabei ist eine belastbare Partnerschaft zwischen Flugmedizinern, Spezialisten weiterer Fachdisziplinen, Flugpsychologen und Piloten unabdingbar und von grundlegender Bedeutung.

Carla Ledderhos

 

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